Samstag, 28. Juni 2008

3. Sonntag, 22. Juni 2008

Horumersiel – Wremen – 143 km
Am Morgen werde ich durch einen heftigen Regenschauer geweckt. Nach einem ausgiebigen Arche-Frühstück geht’s gg. 9.00 Uhr los. Es ist trocken und der Wind kommt von vorn. Im Wangerland am Deich entlang zum letzten Siel, Hooksiel, und dann vorm und auf dem Deich nach Wilhelmshaven – Industrielandschaft mit Anlegebrücken für Öltanker, Raffinerie und Tanklagern und der Riesenbaustelle für den Jade-Weser-Port. Kurz vor dem Marinestützpunkt empfangen mich dumpfe Bässe von einer nächtlichen Tecnoparty. Alkoholisierte und total übermüdete Gestalten schleichen umher, mitten in einer Grünanlage mit einem Pavillon, in dem die Party wohl abgegangen war. Ins Rad läuft mir keiner, aber irgendwie bin ich froh, daß ich heil dran vorbeikomme. Wilhelmshaven zieht sich, durch stereotype Wohngebiete vorbei an Kaianlagen komme ich an die Costa de la Schlick von WHV, dem Bordumer Sand..Kitesurfer, Schlickwanderer und Blick über den Jadebusen, für einige Minuten des Inhalierens ganz schön, aber hier Badeurlaub machen – ne! Gegen den zunehmenden Wind kämpfe ich mich langsam voran. Nach unendlichen 12 km genieße ich ersten Windschutz durch kleine Wäldchen und die sukzessive Änderung der Fahrtrichtung Richtung Ost und später Nordost = Rückenwind. Mittagspause in Dangast, dem ersten niedersächsischen Nordseebad mit einer Jod-Sole-Wasser-Quelle in 573 m Tiefe, die 40 Millionen Jahre alt sein soll. Inspiriert von der besonderen Landschaft am Jadebusen (das Besondere habe ich indes nicht registreiert) lebten bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts diverse Expressionisten, die Künstlergruppe „Die Brücke“ umfasste u.a. so namhafte Maler wie Pechstein und Heckel.
Nun ja, da ich ja eher zur Spezie der Kunstbanausen zähle, genieße ich das zügige Vorankommen dank Rückenwind. Wie im Fluge ziehe ich an Arngast Sand, Vareler Watt, Schweiburger Watt, Seeburger Watt und Stollhammer Watt vorbei und merke erst, daß ich den Jadebusen fast umrundet habe, als mich nach einem Fahrtrichtungsschwenk nach Westen Richtung Eckwarderhörne der Wind wieder entgegenkommt. Ich fahre zu einer jungen Dame auf, die ebenfalls mit reichlich Gepäck sehr gemächlich dahinrollt. Sie kommt aus Baden-Württemberg, fährt von Leer nach Hamburg wie ich auf dem Nordseeküstenradwanderweg und spricht so langsam wie sie fährt, max. 50 km am Tag. Ich verabschiede mich, als der Wind wieder schräg von hinten mich nach Tossens im Butjadinger Land treibt. Bedrohliche dunkle Wolken, Donnergrollen und Blitze sind rundum zu sehen, erste Tropfen fallen, Regenzeug bei schwüler Witterung sind angesagt – alles klebt. Nördlich von Tossens windet sich die Strecke wieder gen Osten Richtung Weserfähre, leider hat der Wind gedreht und kommt in Sturmstärke auf den nächsten 10 km schräg vorn vorne – mir bleibt fast nichts erspart heute – außer Starkregen, die Regenkleidung lege ich wieder ab, endlich wieder frische Luft an Armen und Beinen.
Endlich erreiche ich Blexen, von wo die Weserfähre rüber nach Bremerhaven geht, meinem urspr. anvisierten Tagesziel. Da es trocken bleibt und für Morgen die Wettervorhersage gelinde gesagt mau ist, entscheide ich mich, noch rd. 17 km weiter nach Wremen, dem größten Ort zwischen BRV und Cuxhaven zu fahren. Die Wasserlinie von Bremerhaven macht mit dem Deutschen Schiffahrtsmuseum mit diversen historischen Schiffen in einem der Hafenbecken und dem Besucherzentrum Lloyd-Werft/Überseehäfen auf mich einen positiven Eindruck – sonst hört und liest man ja meist über Bremerhaven nur im Zusammenhang mit Rekord-Arbeitslosenzah-len und hohen „braunen“ Wahlprozenten. Auf der Fahrt vorbei und durch die BRV-Hafenanlagen radele ich bestimmt 5 km nur neben PKW, die exportiert oder importiert werden. Vier riesige Autotransportschiffe liegen an den Kais, riesige Parkhäuser für die PKW sind zu sehen, z.T. noch im Bau. Später fahre ich an den Containerhäfen vorbei. Gott sei dank ruht am Sonntagabend die Arbeit im Hafen weitestgehend, am Montagmorgen wäre es bestimmt für einen einsamen Radler hier zwischen LKW und Eisenbahn nicht ungefährlich. Gute Entscheidung, heute abend die Strecke, die man nicht anders umgehen kann, zu bewältigen.
In Wremen kurz nach 19.00 Uhr angekommen, bekomme ich im Hotel Treibsand das letzte freie Zimmer. Ungewöhnlich, daß man sein Fahrrad durch die Gaststube vorbei am Tresen direkt neben seinem Zimmer im Flur abstellt. Heute muß man sich keine Sorge machen, daß das Rad abhanden kommt, das Schloß wird nicht benötigt. Nach einem frisch gezapften Pils und einer ausgiebigen Dusche werden die Lebensgeister wieder geweckt. Da im Haus die Fußball-EM auf Großbildleinwand übertragen wird, bietet der Hotelinhaber mir an, über den Pizzaservice das Abendessen zu organisieren, damit ich das Spiel der Spanier gg. Die Italiener von Anfang verfolgen kann – hat wohl an seinen Bierabsatz gedacht. Ich entsscheide mich für einen Besuch in einem benachbarten Restaurant, den ich nicht bereue. Ein Fischteller der Extraklasse mit Bratkartoffeln, ein phantastisches Geschmackserlebnis. Nachher erfahre ich, daß das Haus (der Name ist mir leider entfallen) weit über die Grenzen des Landes Wursten (so heißt der Landstrich zwischen BRV und Cuxhaven) bekannt ist. Beim Fußball sitzen im Treibsand noch zwei Ehepaare aus dem Westerwald, die den Weser-Rad-Wanderweg bis Cuxhaven zu Ende fahren wollen und dann von Cuxhaven nach Magdeburg die Elbe entlang radeln wollen, 12 Tage, rd. 600 km. Das im 11m-Schießen die Spanier dann noch die Italiener verabschieden, ist ein schöner Abschluß eines harten Radlertages mit mind. 80 km Gegenwind, was auch den Durchschnitt von 18,9 km/h erklärt, max. Geschwindigkeit heute 34 km/h, 53 UPM.

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